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Raus ist raus, oder?

Kommentar zum britischen Referendum #brexit

25. Juni 2016. “Austritt ist Austritt” (Jean Claude Juncker) und es gibt kein Zurück, so heisst es seit Freitag an die Adresse der Briten gerichtet. Aber das ist nicht richtig. In der Politik gibt es immer auch Alternativen.
Die Briten haben sich in einem Referendum entschieden, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen soll. Das ist erstmal alles. Wie sich die Briten den Austritt und das weitere Verhältnis zu der EU vorstellen, haben sie noch nicht gesagt. Sie werden es selber noch nicht so recht wissen.

Was uns also erwartet und was am Ende dieser Episode stehen wird, ist weitgehend offen. Wird es überhaupt ein richtiger Austritt werden?

Es sind vor allem die Älteren, die entgegen der Interessen der Jüngeren die EU verlassen wollen. Es sind Engländer und Walliser, nicht aber Schotten und Nordiren. Und überhaupt:  Es war eine so knappe Mehrheit, dass ein solches  Referendum schon in der nächsten Woche anders ausgehen könnte – und in zwei Jahren sowieso. Bis dahin sind nämlich schon wieder ein paar der Austritts-Befürworter weggestorben und ein paar junge EU-Freunde mehr wahlberechtigt. Zwei Jahre sollen die Verhandlungen dauern.  Dass das in dieser kurzen Zeit gelingt bezweifeln ohnehin viele. Es wird daher auch schon von fünf Jahren gesprochen. Bis dahin mindestens ist das Vereinigte Königreich vollwertiges Mitglied der EU – und bis dahin werden die Briten auch noch ein paarmal  an die Wahlurne gebeten werden. Zudem ist ja noch kein Austrittsantrag in Brüssel eingegangen und wie es scheint, haben die Briten es damit auch gar nicht eilig.

What if
… die Briten schon in den kommenden Monaten die Folgen ihrer Entscheidung spüren, weil sich viele Waren verteuern?
… die ersten Unternehmen die Verlagerung ihrer Hauptsitze und Produktionsstätten weg von England ankündigen und damit die ersten Jobs flöten gehen?
…. die Jugend angesichts der Verbauung ihrer Zukunft aufbegehrt?
…. die Pläne in Schottland für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum weiter konkrete Form annehmen?

Alles Entwicklungen die eintreten könnten, noch bevor überhaupt die Scheidungspapiere in Brüssel eingereicht werden.
Aber selbst auf einen formellen Austrittsantrag folgen zunächst langwierige und schwierige Austrittsverhandlungen. Wie die Verhandlungsstrategie der EU aussehen wird, wissen wir noch nicht. Die EU könnte hart verhandeln – mit dem Ziel den Briten die Austrittsfreude weiter zu vermiesen – oder sie könnte von vornherein drauf aus sein, die Briten so weit als möglich an sich zu binden. Vermutlich würde es eine Mischung aus beidem sein. In der Zwischenzeit – so viel scheint klar – wird sich die EU reformieren müssen. Die EU wird in fünf Jahren eine andere sein. Vielleicht eine, die auch einigen der heutigen Brexit-Befürworter morgen wieder gefallen könnte.
Und was wäre denn überhaupt ein Austritt? Aus welchen Verträgen würden die Briten denn de facto austreten? Bzw. an welchen Verträgen würde denn ein neu ausgehandelter Ersatz tatsächlich etwas ändern? Und wer wäre denn tatsächlich ausgetreten? Das Vereinigte Königreich? mit den Schotten? Und würde dann nach der – realistischerweise –  fünf Jahre andauernden Verhandlungsphase erneut über die Ersatz-Verträge abgestimmt werden?

Am Ende würden die Briten vielleicht gar nicht richtig austreten oder sogar in der EU verbleiben wollen. Die bis dahin wahrscheinlich angelaufenen EU-Reformen wären sicher ohne das Ergebnis des britischen Referendums kaum angegangen worden. Der „Schuss vor den Bug“ war notwendig. So oder so ähnlich werden die Argumente dann auf beiden Seiten lauten – und Recht werden sie haben.

Es kommt jetzt darauf an kühl zu bleiben und populistischen Austrittsgedanken-Spielchen in anderen EU-Ländern energisch entgegenzutreten. Sehr genau zu beobachten, was im Vereinigten Königreich passiert und sensibel damit umzugehen. Vor allem aber muss die EU eine neuen Vision gemeinsam mit den Menschen entwickeln, damit niemand mehr die EU freiwillig verlassen will – und vielleicht die Briten doch lieber bleiben wollen.